
Ihre Oma stank immer wie eine Flasche Rum, in der man Zwiebeln eingelegt hat. Aber irgendwie freute ich mich trotzdem sehr auf Astrid. Ich nannte sie die „alte Astrid“, weil auch sie Astrid hieß. Sie, das war meine Frau. Meine geliebte und heiß verehrte Astrid, Tochter von Astrid der Mittleren und Enkelin der alten Astrid. Eine ganze Reihe Astrids, in die ich mich da eingeheiratet hatte, aber ich kam gut damit zurecht. Und jetzt gehörten sie alle schon lange zu meinem Leben.
Wir – meine Astrid und ich – waren auf dem Weg zur Oma. Es war gerade erst Weihnachten gewesen und natürlich verbringt man die Feiertage damit, die Lieben zu beehren und, in unserem Fall, Astrid für Astrid schön nach der Reihe abzuklappern.
Wir fuhren durch die Straßen von Budapest, in denen sich keiner von uns beiden auskannte. Die alte Astrid war im vergangenen Jahr vom Land in die Stadt gezogen und wir hatten sie seither noch nie besucht.
Meine Astrid kannte Budapest ein wenig. Von früher. Als sie ein Kind gewesen war, hatte sie manchmal die Ferien hier in einer Art Sommerlager verbracht. Und deshalb waren ihr die Viertel und Bezirke nicht ganz fremd. Zumindest nicht so fremd wie mir. Und meine Astrid hatte auch eine ungefähre Vorstellung davon, wo wir überhaupt hinmussten. Aber sie besaß keinen Führerschein und so war es an mir, meinen VW Tiguan durch die fremden Straßen zu steuern und ich war auf die Unterstützung meiner Astrid angewiesen.
Und man möge nur ja nicht glauben, dass sie diese Aufgabe gut machte. Man verzeihe mir meine rüde Ausdrucksweise, aber es gibt Tage, da redet meine innig geliebte Astrid – mit Verlaub – ausnahmslos Scheiße. Heute war einer dieser Tage.
Da vorne links, dort gehts nacht rechts, wir müssen da rüber, jetzt fahren wir dorthin – ein Haufen gequirlter Blödsinn.
Im Laufe der Zeit ging ich dazu über, meiner eigenen Intuition zu folgen. Ich hatte zwar keine Ahnung, wo wir uns befanden und schon gar nicht konnte ich bestimmen, wohin uns der Weg führen würde, aber ich lenkte den Wagen nach Gutdünken und hoffte darauf, dass irgendwann das Haus der alten Astrid auf die Straße springen und schreien würde: „Hey, ihr Menschen! Hier bin ich!“
Aber natürlich passierte nichts dergleichen. Kein Haus sprang irgendwo hervor. Im Gegenteil, die Häuserreihen würden immer spärlicher, die Landschaft karger und nur noch vereinzelt ragten dürre Bäume aus dem Boden. Die Erde war rau und schroff und nur noch die Straße führte wie ein einziger Strich ins Ungewisse.
Ich folgte ihr und meine Astrid hörte nicht auf, mir entgegenzubrüllen, dass ich tunlichst besser auf sie gehört hätte.
Sie hätte mir aber keine einzige brauchbare Anweisung gegeben, schrie ich zurück und die Straße führte über eine Wölbung immer weite nach unten und immer weiter und immer weiter. Wie Borsten trieben die dürren Bäume aus dem Erdreich. Und schließlich war die Straße zu Ende und mündete in einem Loch. Dieses Loch schien der Mittelpunkt der Gegend zu sein und an seinem anderen Ende erkannte ich, dass sich die Straße wie eine Linie fortsetzte. Wir waren am Arsch der Welt angelangt.