Hector Livingstone´s “Eine Weihnachtsgeschichte”

„Dass etwas so Kleines so laut sein kann“, murmelte er, biss vom Keks ab und setzte das große Glas mit der Milch an. Und er musste leise lachen, weil klein Tinchen im Schlaf grunzte wie eine ausgewachsene Zuchtsau beim Stillen.

„Nein“, kicherte er, „nein. Dass so etwas Kleines so laut sein kann.“ Dann bekleckerte Santa sein feines Kostüm aus rotem Plüsch mit Milch.

„So mein Liebes“, sagte er zu Tinchen, die mit dem Rücken zu ihm gewandt tief und fest auf dem Sofa schlief, „ruh´ dich gut aus und lass dich nicht stören. Santa Claus macht sich jetzt an die Arbeit.“ Und dabei lachte er ganz leise und verhalten sein markantes „Ho, ho, ho!“ In den dicken Bauch.

Die paar Schritte vom Tisch im Wohnzimmer zum Weihnachtsbaum, der feierlich geschmückt vor einem ausladenden Fenster drapiert wurde, tänzelte Santa beinahe.

Schließlich nahm er seinen Sack von der Schulter und zog die goldene Kordel, die ihn zuschnürte, auf.

Fröhlich und bester Laune sah sich Santa Claus den wunderschön geschmückten Weihnachtsbaum an, für den sich Tinchens Mama dieses Jahr ganz besonders große Mühe gegeben hat. Es roch nach Zimt und Kerzenwachs und nach dem würzigen Duft von Nadelbaum und in diesen olfaktorischen Mischmasch mengte sich der deftige Dunst des Schneesprays, mit dem der großen und kräftigen Fichte ein winterliches Aussehen verliehen wurde. Mister Claus summte ein stilles, aber kräftiges „Jingle Bells“, was sich mit seiner sonoren Stimme unheimlich lustig anhörte. Lustig, aber durchaus weihnachtlich.

Dann zog er seinen Sack weit auf. Er bückte sich und er steckte ein Paket, das sich unter dem Christbaum befand, in den Sack. Dann bückte er sich erneut, hob ein neues Päckchen hoch. Santa beäugte es genau. Er schüttelte es und hörte daran und irgendetwas in der Verpackung klackerte. Er zog eine Braue hoch und kicherte. Dann nickte er und steckte auch dieses Geschenk in seinen Sack. Ganz offensichtlich freute sich Santa Claus, was aber nicht weiter verwunderte, weil Santa – wie man weiß – immer bester Laune ist.

Und weil er schon einmal so rege bei der Sache war, schnappte er sich auch noch ein drittes Päckchen von unter dem Baum. Das war weich und bog sich – ganz offensichtlich Kleidung. Vielleicht ein Strickpullover von Oma? Ein paar Socken für Papa? Santas Gesichtsausdruck verzog sich und wurde säuerlich. Das konnte er nicht gebrauchen und so feuerte er das Geschenk wieder zurück unter den Baum.

Das Geräusch des Aufpralls war nicht gerade leise. Und so hörte Tinchen jäh auf zu schnarchen und stieß stattdessen ein grunzendes Röcheln aus. Sie wachte auf.

Claus sah zum Sofa.

„Schlaf weiter“, fauchte er

Klein Tinchen sah den Weihnachtsmann aus ganz verschlafenen Augen verdutzt an.

Santa räusperte sich.

„Schlaf weiter“, hauchte er jetzt. Und setzte noch ein erzwungenes und ersticktes „Mein Kleines“ hinzu.

„Du bist der Weihnachtsmann.“, quietschte Tinchen und war plötzlich hellwach.

„Na und?“, brummte der Weihnachtsmann. Und wieder wurde ihm gleich darauf klar, dass er eine gewisse Etikette zu wahren hatte und, dass sein Tonfall nicht unbedingt angemessen war.

„Ich meine…Ho, ho, ho! Und jetzt schlaf weiter, damit ich in Ruhe die Geschenke hier mitnehmen…ich meine…damit…ich dir…du weißt schon, deine Geschenke…“

Tinchen rubbelte sich den Schlaf aus den Augen.

„Du nimmst meine Geschenke mit?“

Santa fühlte sich ertappt. Was sollte er jetzt sagen? Die Illusion eines Kindes zerstören?

„Santa ist arm, mein Kind…“

Er probierte es mit einer Ausflucht.

„Aber…“

Tinchen zog ihre Kuscheldecke an sich und runzelte die Stirn.

„Aber, wenn du arm bist, Santa…dann muss ich dir ja Geschenke bringen. Und nicht du mir. Weil ich bin nicht arm.“

Der Blick vom Weihnachtsmann erhellte sich.

„Ho, ho, ho!“, jauchzte er. „Genau! Du bist ein schlaues Kind.“

„Dann nimm einfach meine Geschenke mit, Santa!“ Tinchen strahlte, als sie dem Santa Claus diesen Vorschlag unterbreitete.

„Das wollte ich sowieso…niemals…selbst vorschlagen. Du bist ein gutes Kind!“

Und Tinchen lächelte. Und Santa packte alles ein, was in der Wohnung nicht niet- und nagelfest war.

„Du kannst auch noch einen Keks haben. Und Milch…“

Tinchen war glücklich, ein Mal dem echten Weihnachtsmann gegenüberzustehen.

„Nein. Nein. Das kann ich nicht annehmen, meine Kleine. Ein guter Gast ist niemals Last.“

„Ich sag Mama und Papa auch nicht, dass du es warst, der die Geschenke, den Fernseher und den Schmuck mitgenommen hat.“

„Das würden sie dir auch nicht glauben Kind. Weil der Weihnachtsmann immer die Geschenke gebracht hat. Und nicht genommen.“

Tinchen steckte die Spitze ihres Zeigefingers in den Mund und dachte angestrengt nach.

„Das stimmt“, sagte sie. „Du hast die Geschenke immer gebracht…“

„Das waren noch Zeiten, Kind, das sag ich dir. Ich war frei und ungebunden. Ich war mein eigener Herr. Aber alles ändert sich…“

„Warum?“, wollte Tinchen wissen, die immer noch grübelte.

„Konkurs, meine Liebe. Konkurs. Und jetzt arbeite ich im Auftrag der Kirche…“

 

 

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